PROF. DR. MICHAEL RONELLENFITSCH
Lösungsskizze der zweiten Klausur im öffentlichen Recht im Rahmen des Semesterklausurenkurses im Wintersemester 1996/1997

A. Vorbemerkung

Die Lösungsskizze zeigt einen möglichen Lösungsweg auf. Andere Lösungen sind nicht ausgeschlossen, sofern sie vertretbar sind und überzeugend b e g r ü n d e t werden. Die Punktangaben spiegeln die Gewichtung der Probleme wider. Insgesamt gibt es nach der Lösungsskizze 16 Punkte, 2 Punkte können darüber hinaus für eine besonders gelungene Argumentation, einen besonders ansprechenden Stil ect. gegeben werden. Eine Klausur kann jedoch nur dann mit ausreichend bewertet werden, wenn die wesentlichen Probleme erkannt wurden.



Frage 1 - Verfassungsmäßigkeit des Bundespressegesetzes (BPrG)

I. Formelle Verfassungsmäßigkeit des BPrG

( 4 P ., davon 3 P. für die Gesetzgebungskompetenz )

1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes

Das BPrG ist formell nur verfassungsgemäß , wenn dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz zusteht.

Grundsatz: Länderkompetenz, Art. 70 Abs. 1, 30 GG, es sei denn, dem Bund ist die Materie ausdrücklich zugewiesen.

a) Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz

Art. 71, 73 GG: (-), kurz. Art. 71, 21 Abs. 3 GG: (-), keine Regelung des Parteienrechts, es geht um eine Pflicht der Presse - kurz.

b) Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz, Art. 72, 74 GG (-), kurz.

c) Rahmenkompetenz, Art. 75, 72 GG

(1) In Betracht kommt eine Rahmenkompetenz des Bundes gem. Art. 75 Nr. 2 GG - "allgemeine Rechtsverhältnisse der Presse".

Presse: Enger / weiter Begriff der Presse; kann offenbleiben, denn auch nach dem engen Pressebegriff ist hier die Presse betroffen, da die Regelung nur Zeitungen betrifft (unprobl. (+)).

Umstritten ist die Bedeutung der Worte "allgemeine Rechtsverhältnisse". Es werden hierzu im wesentlichen fünf Meinungen vertreten (Einen Überblick über das weite Meinungsspektrum findet sich bei Portoff, Die Rahmenkompetenz des Bundes unter besonderer Berücksichtigung der Gesetzgebung über die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse ):

Nach herrschender Meinung umfaßt dieser Begriff alle Normen, die für die Funktion und Stellung der Presse in der freiheitlichen Demokratie wesentlich sind somit Fragen von grundsätzlicher Bedeutung (so Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 3. Aufl. 1994, S. 11, Rdnr. 16). Nach einer anderen Ansicht (Lerche, NJW 1972, 1313) bedeuten diese Worte nur, daß kein Recht gesetzt werden darf, welches auf die Unterdrückung bestimmter Presseerzeugnisse oder -meinungen hinausläuft. Ferner wird vertreten, nur solche Vorschriften stellten Regelungen der allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse dar, die auf andere Medien übertragbar seien (so Groß, DVBl. 1966, 66; 1975, 241; 1976, 926). Eine weitere Auffassung folgert aus der Formulierung, daß es sich um eine besonders weitmaschige Rahmenregelung handle, deren Einhaltung nur für den jeweiligen Einzelfall beurteilt werden könne (v. Mangoldt/Klein). Schließlich werden diese beiden Worte dahin verstanden, daß der Bund nur Richtlinien für die Landesgesetzgebung, aber keine unmittelbar geltenden Normen erlassen dürfe (Maunz in M/D/H, Art. 75 Rdnr. 96; vgl. dort auch die Darstellung der oben angeführten Auffassungen).

Folgt man der herrschenden Auffassung, so liegt hier eine Regelung eines allgemeinen Rechtsverhältnisses der Presse vor. Zeitungen mit bestimmten Auflagenhöhen werden verpflichtet, Wahlwerbung für alle Parteien abzudrucken, unabhängig davon, ob die "Zeitungsmacher" die politischen Ziele dieser Parteien akzeptieren oder unterstützen. Es wird daher die Verbreitung von Meinungen erzwungen. Da die Presse wesentlicher Faktor der Bildung einer öffentlichen Meinung ist und damit zusammenhängend eines der wichtigsten Mittel permanenter Kritik und Kontrolle darstellt, wird sie durch die Verpflichtung, Meinungen zu veröffentlichen, in ihrer Funktion "staatsunabhängiger Meinungsbildner" zu sein, stark tangiert.

Der Streit ist noch nicht abschließend entschieden. Die Mindermeinungen lassen eine Gesetzgebungskompetenz für die bezeichnete Regelung entfallen, weil die Presse unmittelbar gebunden wird. Die Ansicht von Maunz trägt aber der Neufassung von Art. 75 Nr.2 GG nicht Rechnung, die von v. Mangloldt/Klein ist zu vage, die von Groß ist anachronistisch und Lerche vermengt Erwägungen des Zensurverbots mit der Regelungskompetenz für das Pressewesen schlechthin. Folglich überzeugt nur das herrschende funktionale Presseverständnis. Die Mindermeinungen sind aber durchaus vertretbar.

(2) Ferner müßte gem. Art. 72 Abs. 2 GG die Neuregelung des BPrG entweder der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder der Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse dienen.

Hier kommt die Wahrung der Rechtseinheit über das Gebiet eines Landes hinaus in Betracht.

Arg.: Die Chancengleichheit der Parteien ist nur gewährleistet, wenn die Wahlwerbung in Zeitungen im gesamten Bundesgebiet einheitlich geregelt ist. Fraglich könnte dies bezüglich der Wahlwerbung für Landtagswahlen und Kommunalwahlen sein. Aber auch hier ist das Bedürfnis nach einheitlicher rechtlicher Regelung deshalb anzuerkennen, weil erstens viele Parteien, die bei Landtagswahlen und Kommunalwahlen kandidieren, auch an Bundestagswahlen teilnehmen und die Wahlwerbung für diese Wahlen daher auch meinungsbildend für spätere Bundestagswahlen sein kann. Unterschiedliche diesbezügliche Länderregelungen könnten daher zur Benachteiligung bundesweit agierender Parteien führen. Zweitens wird der Wahlmodus vom Homogenitätsprinzip des Art. 28 I GG erfaßt.

(3) Fraglich ist, ob der Bund durch die getroffene Regelung die Rahmenkompetenz überschritten hat, denn die Vorschrift enthält unmittelbar geltendes Recht für die Presse und ist nicht ausfüllungsfähig.

Siehe hierzu die Leitentscheidung des BVerfG (BVerfGE 4, 115 ff.), der die Rechtslage vor dem 27. 10. 1994 zu Grunde lag:

- Inhaltlich begrenzter als die Befugnis nach Art. 74 GG, - Bund darf nur einen Rahmen setzen,

- Rahmenvorschriften müssen, wenn auch nicht in allen einzelnen Bestimmungen, so doch als Ganzes durch Landesgesetzgebung ausfüllungsfähig und ausfüllungsbedürftig, jedenfalls auf eine solche Ausfüllung hin angelegt sein.

Danach können Rahmengesetze auch Einzelheiten regeln und nicht jede Einzelnorm innerhalb des Gesetzes ist auf eine Rahmenregelung beschränkt. Da hier nur eine Vorschrift bekannt und zu beurteilen ist, eine Miteinbeziehung des BPrG als Ganzes mithin ausscheidet, ist zu unterstellen, daß die Vorschrift von der Rahmengesetzgebungsbefugnis des Bundes gedeckt ist.

Inzwischen ist die Zulässigkeit von unmittelbar geltenden Bestimmungen in Ausnahmefällen in Art. 75 II GG ausdrücklich normiert.

Die Prüfung ungeschriebener Bundeskompetenzen ist nur dann folgerichtig, wenn die geschriebenen Kompetenzen verneint werden; falls dies mit dem Argument erfolgt, daß die Rahmenkompetenz keine Vollregelung zulasse, muß man sich allerdings damit auseinandersetzen, ob eine ungeschriebene Kompetenz nicht bereits wegen des abschließenden Charakters des Art. 75 Nr. 2 GG hinsichtlich der Presse ausgeschlossen ist.)

Ergebnis: Die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes ist zu bejahen.

2. Ordnungsgemäßheit des Gesetzgebungsverfahrens

Nach den Angaben im Sachverhalt handelt es sich bei dem BPrG um ein Zustimmungsgesetz. Es ist deshalb im Hinblick auf das Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die Stimmabgabe der Landesregierung von X im Bundesrat (BR) und damit letztlich die Zustimmung des BR wirksam ist. Die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens im übrigen wird mangels ausreichender Angaben im Sachverhalt unterstellt.

Die Stimmabgabe der Landesregierung von X im BR könnte deshalb ungültig sein, weil sie damit gegen den Beschluß des Landtages von X verstoßen hat. Dies würde zunächst voraussetzen, daß die Mitglieder der Landesregierung im BR an den Beschluß des Landtages gebunden sind. Zwar ist eine Weisungsgebundenheit der BR-Mitglieder nach heute hM zu bejahen, Jedoch besteht diese nur gegenüber Weisungen der Landesregierung. Eine Bindung an Weisungen des Landtages ist aber zu verneinen. Die Landesminister können lediglich in den Landtagen wegen ihres Abstimmungsverhaltens zur Verantwortung gezogen werden (Stichwort: parlamentarische Verantwortlichkeit der LReg). Arg.: 1. Vertretung der Länder im Bund ist gem. Art. 51 Abs. 1 GG Aufgabe der Landesregierungen, nicht der Landtags 2. Grundsatz der Gewaltenteilung in den Ländern (vgl. Krebs in v. Münch/Kunig, GG-Komm., Bd. 2, 3. Aufl. 1995, Art. 51 Rz. 14)

Selbst wenn eine Bindung der BR-Mitglieder an den Beschluß des Landtages angenommen würde, hätte dies auf die Wirksamkeit der Stimmabgabe und damit auf die Gültigkeit der Zustimmung des BR keinen Einfluß.

Die Weisungen können nämlich nur das Innenverhältnis betreffen. Der Bundesrat ist aber - wie schon sein Name besagt - ein Bundesorgan. Die Willensbildung des Bundesorgans kann nicht von den landesrechtlichen Rechtsbeziehungen abhängen. Auch Weisungen der Landesregierung würden ein gegenteiliges Abstimmunsverhalten im Bundesrat nicht wirkungslos machen, sondern lediglich einen landesinternen Verfassungskonflikt auslösen. Da diese Erwägungen sich in den üblichen Lehrdarstellungen nicht finden, sollte eine nähere Begründung besonders honoriert werden.

Ergebnis: Das Gesetzgebungsverfahren ist ordnungsgemäß.

3. Form

Das BPrG wurde laut Sachverhalt im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (Art. 82 Abs. 1 GG). Weitere Angaben zur Form enthält der Sachverhalt nicht. Es ist davon auszugehen, daß die Form auch im übrigen gewahrt ist.

Ergebnis: Formfehler sind nicht ersichtlich.

4. Gesamtergebnis

Das BPrG ist formell verfassungsgemäß.

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit des BPrG

(9 P., davon 5 P. für Art. 5 GG, insg. 3 P. für Art. 21 und 38 GG)

Das BPrG ist nur dann materiell verfassungsgemäß, wenn es mit den Grundrechten vereinbar ist und die allgemeinen Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen gewahrt sind.

1. Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG

Problematisch erscheint die geplante Norm zunächst im Hinblick auf die in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Pressefreiheit.

a) Eingriff in den Schutzbereich

Zum Begriff der Presse wird auf o. I. 1. c) verwiesen, da der Begriff in Art. 75 Nr. 2 GG und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gleichbedeutend ist. Die Vorschrift betrifft daher die Presse. Die Pressefreiheit umfaßt auch den Anzeigenteil einer Zeitung (BVerfGE 21, 271/278). Zum Schutzbereich der Presse zählen insbesondere die Bestimmung und Verwirklichung der politischen Tendenz einer Zeitung (BVerfGE 52, 283/296). Ein Eingriff in die Pressefreiheit liegt bei jeder staatlichen Maßnahme vor, die zu einer Behinderung der Pressetätigkeiten führt. Dies ist hier der Fall, weil die Presseunternehmen rechtlich verpflichtet werden, auch politisch mißliebige, der politischen Tendenz ihrer Erzeugnisse widerstreitende und die Überzeugungskraft ihrer redaktionellen Linie beeinträchtigende Wahlwerbung abzudrucken.

b) Schranken

Das Recht der Pressefreiheit findet seine Schranken jedoch in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Allgemeine, die Pressefreiheit einschränkende Gesetze sind solche, die sich nicht gegen die Äußerung einer Meinung als solche richten, die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgutes dienen (BVerfGE 7, l98/209 f.).

Die geplante Norm ist ein in diesem Sinn allgemeines Gesetz. Es richtet sich nicht gegen die Aufrechterhaltung einer bestimmten Tendenz eines betroffenen Presseunternehmens oder Presseerzeugnisses. Es richtet sich auch nicht gegen eine bestimmte Meinung oder gegen den Prozeß freier Willensbildung oder gegen freie Information als solche. Vielmehr dient sie dem Schutz anderer Rechtsgüter als einer bestimmten Meinung, insbesondere dem Schutz der verfassungsrechtlich verbürgten Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes ( Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG) sowie der Gewährleistung der Chancengleichheit der Parteien. Zur Rechtsgrundlage dieses Grundsatzes vgl. unten) .

c) Schranken - Schranken

Entsprechend der Wechselwirkungstheorie sind die allgemeinen Gesetze ihrerseits in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts zu sehen und so zu interpretieren, daß der besondere Wertgehalt dieses Rechts in der freiheitlichen Demokratie auf jeden Fall gewahrt bleibt. Es findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, daß die allgemeinen Gesetze zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen. Es bedarf mithin einer verfassungsmäßigen Zuordnung der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Pressefreiheit und der durch die geplanten Norm geschützten Rechtsgüter. Die Einschränkung der Pressefreiheit muß insbesondere geeignet, erforderlich und angemessen sein.

Die geplante Norm dient der Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung gem. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG. In diesem Zusammenhang wird bereits für das geltende Recht vertreten, daß die Ablehnung von Wahlanzeigen durch ein Presseunternehmen rechtswidrig sein kann, wenn eine Monopolstellung zur Diskriminierung einzelner Parteien ausgenutzt wird. Das BVerfG hat diese Frage ausdrücklich offengelassen, nachdem es zuvor eine entsprechende Verpflichtung des Unternehmens verneint hatte - freilich nur für das geltende Recht, womit die Einführung einer gesetzlichen Verpflichtung für möglich erachtet worden war (BVerfGE 42, 53/62; 48, 271/278).

Insoweit rechtfertigt sich die Verpflichtung der betroffenen Presseunternehmen aus der nach verbreiteter Meinung bestehenden objektiv-rechtlichen Funktion der Pressefreiheit als Medium und integrierender Bestandteil des demokratischen Prozesses.

Zum anderen dient die geplante Norm der Gewährleistung der Chancengleichheit der Parteien im Wahlkampf. Dies gilt jedenfalls insofern, als durch die ausgesprochene Verpflichtung eine Diskriminierung einzelner politischer Parteien auf einem monopolisierten Markt verhindert wird.

Bei der Frage der Wechselwirkung haben die Bearbeiter Raum zu argumentieren:

Fraglich kann insbesondere sein, ob die geplante Einschränkung einer Abwägung standhält. Hierbei ist darauf abzustellen, daß für die Wahlwerbung der Anzeigenteil der betroffenen Zeitungen lediglich ein Werbeträger unter anderen ist und andere Werbemöglichkeiten bestehen. Der Verzicht auf die gesetzliche Verpflichtung mag daher die politischen Parteien nicht besonders empfindlich beeinträchtigen. Andererseits handelt es sich um ein abgegrenztes, bestimmte Wählergruppen besonders intensiv erreichendes Werbeinstrument.

Die Pressefreiheit im Sinne des Tendenzschutzes wird jedoch erheblich gestört, und es erscheint kaum zumutbar für die Unternehmen, einer redaktionell bekämpften politischen Richtung zu erhöhter Publizität im Anzeigenteil zu verhelfen. Zur Vermeidung unzulässiger Diskriminierung einzelner Parteien würde zudem in geeigneten Fällen die über §§ 826, 249 BGB bestehende Möglichkeit ausreichen, sittenwidriger Ausnutzung von Monopolen im Einzelfall entgegenzutreten. Insofern könnte eine gesetzgeberische Verdeutlichung noch zulässig sein. Eine allgemeine Inpflichtnahme überhaupt Wahlwerbeanzeigen abzudrucken, bedürfte es auch bei Monpolunternehmen hierfür nicht.

Die objektiv - rechtliche Sicht reduziert das Abwehrrecht der Pressefreiheit auf eine institutionelle Garantie, die die Gefahr heraufbeschwört, daß die "gute" von der "bösen" Presse geschieden wird. Wenn "die Presse" verpflichtet wäre, jegliche Wahlwerbung zu veröffentlichen, müßten die politischen Parteien für ihre Wahlwerbung auch die Zeitungen gleichbehandeln. Wahlwerbung der "Republikaner" in der "taz" wäre für beide eine Provokation (BVerfGE 50, 290/337).

d) Ergebnis:

Die Regelung verstößt gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (Eine andere mit verständiger Argumentation vorgetragene Auffassung erscheint jedoch ebenfalls vertretbar.).

2. Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG

a) Eingriff in den Schutzbereich

Neben einem Verstoß gegen die Pressefreiheit kommt auch ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG in Betracht. Insoweit besteht zwischen den Grundrechten Idealkonkurrenz (str.). Es ist aber auch vertretbar, daß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gegenüber Art. 12 Abs. 1 GG spezieller ist und daher verdrängt wird. Dann ist Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu prüfen, das Konkurrenzverhältnis ist jedoch kurz abzuhandeln.

Die Presseunternehmen üben mit der Herstellung und Verbreitung von Tageszeitungen und Wochenblättern einen Beruf im Sinne von Art. 12 Abs., 1 GG aus.

Die geplante Norm besitzt berufsregelnde Tendenz, weil ihre Auswirkungen auf die Berufsausübung nicht gänzlich unerheblich sind sie sich gerade auf die berufliche Betätigung bezieht und sie unmittelbar zum Gegenstand hat,

b) Ausdruck der Schranken

Die Regelung betrifft die Berufsausübung.

c) Schranken - Schranken

Nach der Drei-Stufen-Theorie des BVerfG sind für die hier vorliegende bloße Berufsausübungsregelung zunächst vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls erforderlich, ferner muß die Regelung verhältnismäßig sein.

Die Ziele der Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung und der Verwirklichung der Chancengleichheit der Parteien im Wahlkampf stellen zwar vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls dar, die Vorschrift verstößt jedoch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil sie - wie oben ausgeführt - unangemessen ist.

d) Ergebnis; Die Vorschrift verstößt auch gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

3. Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG

Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1. GG durch die geplante Vorschrift ist abzulehnen, da der Wert der betroffenen Presseunternehmen durch die Regelung nicht berührt wird ( vgl. Kurzdefinition: Schutzgegenstand des ReaG ist alles, was in seiner Gesamtheit den Wert des konkreten Gewerbebetriebs ausmacht, Bryde in v. Münch, GG-Kommentar, 3. Aufl., Art. 14 Rz. 18). Falls man Art. 14 Abs. 1 GG dennoch als betroffen ansieht, muß auch hier auf die Konkurrenzen eingegangen werden. Art. 14 Abs. 1. 1 GG wird nach wohl überwiegender Auffassung verdrängt in v. Münch/Kunig, GG-Kommentar a.a.O. Art. 5 Rdnr. 78).

4. Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien

Die geplante Vorschrift könnte den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien verletzen.

Inhalt des aus Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG folgenden Grundsatzes der Chancengleichheit ist die Verpflichtung, alle Parteien ohne Rücksicht auf qualitative oder quantitative Merkmale rechtlich gleich zu behandeln. Die Rechtsgrundlage des Grundsatzes der Chancengleichheit der Parteien ist streitig. Folgende Ansichten sind neben der obigen vertretbar: Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 28 Abs.. 1 S. 2 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG.

Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien ist insoweit verletzt, als lediglich bereits etablierte Parteien in den Genuß des Kontrahierungszwangs kommen sollen. Die Tatbestandsvoraussetzung der Zulassung für Wahlvorschläge bei vorhergehenden Wahlen benachteiligt solche Parteien ohne ersichtlichen einleuchtenden Grund, die erstmalig bei einer entsprechenden Wahl teilnehmen.

Ergebnis: Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG ist verletzt.

5. Verstoß gegen das Gebot der Gleichheit der Wahl Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG

In der Beschränkung des Kontrahierungszwanges auf politische Parteien und damit dem Ausschluß kommunaler Wählergemeinschaften könnte ein Verstoß gegen das Gebot der Gleichheit der Wahl liegen.

Da Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG auf kommunale Wählergemeinschaften keine Anwendung findet, wird Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG insoweit nicht verdrängt.

Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl beläßt wegen seines besonderen formalen Charakters dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Wahlrechts nur einen eng bemessenen Spielraum. Differenzierungen in diesem Bereich bedürfen stets eines besonderen rechtfertigenden Grundes (BVerfGE 12, 10/25; 69, 92/106).

Das Gebot der Wahlgleichheit erfaßt auch das Vorfeld der politischen Willensbildung (BVerfGE 69, 92/107).

Indem die geplante Norm lediglich politische Parteien begünstigt, die bereits für einen Wahlvorschlag zum Deutschen Bundestag, zum Europäischen Parlament oder zum Landtag zugelassen waren, geht sie von Begriff der politischen Partei gem. § 2 Abs. 1 PartG aus. Kommunale Wählergemeinschaften, sogenannte Rathausparteien, sind damit diskriminiert, weil der Kontrahierungszwang auch für Wahlkämpfe zu kommunalen Vertretungen gilt, sie selbst aber ohne ersichtlichen einleuchtenden Grund hiervon ausgeschlossen sind.

c) Ergebnis: Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl ist verletzt.

6. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG

a) Entfernt dürften Bedenken aus Art. 3 Abs. 1 GG insoweit liegen, als lediglich Tageszeitungen und Wochenblätter verpflichtet werden, nicht jedoch andere Presseerzeugnisse. Ihre Nähe zum politischen Tagesgeschehen hebt sie als Gruppe mit besonderen Merkmalen von anderen Gruppen der Presseerzeugnisse ab, die für die Verwirklichung der Ziele der geplanten Norm wesentlich geringere Bedeutung besitzen.

b) Die eventuelle Erfassung einzelner Tageszeitungen oder Wochenblätter ohne hinreichenden Bezug zum politischen demokratischen Prozeß ist im Einzelfall durch die erforderliche gesetzgeberische Typisierung und Generalisierung gerechtfertigt.

Im übrigen ist die Begrenzung der Verpflichtung auf Unternehmen mit einem Auflagen-Marktanteil von über 80 % durch die Erwägung gerechtfertigt, daß in den sonstigen Fällen politische Parteien hinreichende alternative Werbemöglichkeiten besitzen, die ihnen bei einer Monopolstellung der Zeitungen verschlossen sind.

c) Ergebnis: Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor.

7. Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot

Entfernt liegen dürften Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit der Norm, soweit auf einen angemessenen Umfang und auf marktüblichen Preise abgestellt ist. Es handelt sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die nach Maßgabe des Rechtsstaatsprinzips unbedenklich sind.

8. Gesamtergebnis

Die Vorschrift verstößt gegen Art. 5 Abs. l Satz 2, Art. 12 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 S. 2 und gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG und ist daher materiell verfassungswidrig.

 
Frage 2 - Verfassungsprozeßrecht

(Frage 2a, 2b, 2c insg, 3P.)

Frage 2 a) Rechtliche Möglichkeiten des Landtags von X

I. Abstrakte Normenkontrolle Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG

Zu denken wäre zunächst an eine abstrakte Normenkontrolle, da dieses Verfahren dem Begehren des Landtages von X (Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des BPrG) am nächsten käme. Dann müßte dieses Verfahren zulässig sein.

Antragsberechtigung des Landtages gem. Art. 93 Abs. l Nr. 2 GG, § 76 BVerfGG ist jedoch nicht gegeben.

II. Organstreitverfahren Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG

Ferner könnte ein Organstreitverfahren in Betracht kommen.

Dann müßte der Landtag von X gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG beteiligtenfähig sein.

hier: (-) Länder und deren Verfassungsorgane sind nicht beteiligtenfähig.

Arg:.: Werden von Art. 93 Abs. l Nr. 1 GG und § 63 BVerfGG nicht erfaßt.

III. Bund-Länder-Streitigkeit Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, §§ 13 Nr. 7, 68 ff. BVerfGG

Landtag ist nicht beteiligtenfähig (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG, § 68 BVerfGG). Muß nicht geprüft werden.

IV. Streitigkeiten innerhalb eines Landes. Art. 93 Abs. Nr. 4, 3. Variante. GG, §§ 13 Nr. 6, 71 f. BVerfGG

Beteiligtenfähigkeit des Landtages gem. § 71 Abs. 1 Nr. 3 BVerfGG und der Landesregierung ist gegeben. Da die Fragestellung hinsichtlich des Antragsgegners nicht eindeutig ist, ist eine Prüfung dieses Verfahrens vertretbar.

Streitgegenstand kann aber nicht die Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes sein (vgl. § 72 Abs. 2 BVerfGG).

V. Verfassungsbeschwerde

Kommt nicht in Betracht, da der Landtag nicht grundrechtsfähig ist.

Frage 2 b) Rechtliche Möglichkeiten der C-Fraktion

I. Abstrakte Normenkontrolle; Art. 93 Abs. 1, Nr. 2. GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG

1. Antragsberechtigung, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 BVerfGG

(+), wenn C-Fraktion ein Drittel der Mitglieder des BT umfaßt.

2. Antragsgegenstand

Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel über die Vereinbarkeit von Bundes- oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht. Alternativ: Geltende Rechtsnormen jeder Rechtsstufe .

Hier (+), es geht um die Verfassungsmäßigkeit eines verabschiedeten Bundesgesetzes.

3, Antragsbefugnis, § 76 BVerfGG

Hier muß kurz auf die Divergenz zwischen Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG und § 76 BVerfGG eingegangen werden. §§ 76 BVerfGG schränkt Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG ein, indem er die Überzeugung von der Nichtigkeit fordert, Diese Einschränkung wird von der hL für verfassungswidrig gehalten - vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 76 Rz. 51 f.). Sofern man diese Überzeugung bei der C-Fraktion unterstellt, was gut vertretbar ist, kann die Lösung des Problems offenlassen.

4. Ordnungsgemäßheit des Antrags, § 23 Abs. 1 BVerfGG

Ergebnis : Die C-Fraktion kann bei entsprechender Mitgliederzahl ein abstraktes Normenkontrollverfahren anstrengen.

II. Organstreitverfahren. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG

Neben dem Verfahren der abstrakten Normenkontrolle könnte auch ein Organstreitverfahren der C-Fraktion zulässig sein.

1. Beteiligtenfähigkeit von Antragsteller und Antragsgegner gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG

Die C-Fraktion ist Teil des Bundestages (§ 10 GeschO BT) und in der Geschäftsordnung dieses obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet (z.B. §§ 97, 106 Abs. 1, 112 Abs. 2). Sie kann daher Antragsteller in einem Organstreitverfahren sein. Der Antragsgegner müßte ebenfalls gem. Art. ..« beteiligtenfähig sein. Als potentielle Antragsgegner kommen hier - kumulativ - die BReg, der BR und der BT als Beteiligte am Gesetzgebungsverfahren in Betracht.

2. Streitgegenstand

Gegenstand eines Organstreitverfahrens kann jede rechtserhebliche Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners seine

(+) Streitgegenstand ist hier der Erlaß des BPrG.

3. Antragsbefugnis. § 64 Abs. 1 BVerfGG

Die C-Fraktion müßte geltend machen, daß sie oder der BT durch den Erlaß des BPrG in ihren verfassungsrechtlichen Rechten oder Pflichten verletzt - oder unmittelbar gefährdet sind. Eigene in der Verfassung wurzelnde Rechte oder Pflichten der C-Fraktion , die durch den Erlaß des BPrG tangiert sein könnten, sind nicht ersichtlich (Wahlrechtsgleichheit konnte aber andiskutiert werden). Ebenso stehen keine Rechte oder Pflichten des BT in Streit. Die Antragsbefugnis ist daher zu verneinen.

Ergebnis : Die Einleitung eines Organstreitverfahrens durch die C-Fraktion ist nicht möglich.

Frage 2 c) Rechtliche Möglichkeiten der D-Partei

I. Abstrakte Normenkontrolle, Art. 93 Abs.. 1 Nr. 2 GG , 6 , §§ 13 Nr. 6, 76 ff BVerfGG

Eine abstrakte Normenkontrolle scheitert an der fehlenden Antragsberechtigung einer Partei. In Betracht käme aber eine Verfassungsbeschwerde.

II. Verfassungsbeschwerde, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8, 90 ff BVerfGG

Damit eine Verfassungsbeschwerde zulässig wäre, müßten politische Parteien zunächst beschwerdefähig sein,

Nach der std. Rspr. des BVerfG ist die Beschwerdefähigkeit politischer Parteien und damit die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde dann zu verneinen, wenn ihr Status als politische Partei im Verfassungsleben in Frage gestellt wird, da politische Parteien an der politischen Willensbildung mitwirken und insoweit Funktionen eines Verfassungsorgans wahrnehmen (BVerfGE 4, 27, 30f.; 4, 375, 378; 5, 77, 80; 6, 84, 88; 6, 99, 102 f.; 6, 367, 371f.; 60, 53, 61 f.). Rechte, die ihren verfassungsrechtlichen Status betreffen, können sie nur im Wege des Organstreits durchsetzen.

Als evtl. verletztes Recht der D-Partei kommt hier nur der Grundsatz der Chancengleichheit in Betracht. Dieses Recht betrifft den verfassungsrechtlichen Status einer Partei. Die Verfassungsbeschwerde ist daher unzulässig.

Eine andere Auffassung ist vertretbar und rechtfertigt keinen Punktabzug, allerdings nur wenn das Problem erkannt, diskutiert und im Sinne einer anderen vertretenen Auffassung entschieden wird.

III. Organstreitverfahren. Art. 93 Abs. 1 GG. §§ 13 Nr. 5, 63 ff BVerfGG

1. Beteiligtenfähigkeit von Antragsteller und -gegner gem. §§ 63 BVerfGG

Parteien sind von § 63 BVerfGG nicht erfaßt, aber Parteien sind nach der ständigen Rspr. des BVerfG dann im Organstreitverfahren parteifähig wenn ihr verfassungsrechtlicher Status, wie im vorliegenden Fall (s.o.) betroffen ist. § 63 BVerfGG steht dem nicht entgegen. Die Aufzählung ist nicht abschließend.

Als potentielle beteiligtenfähige Antragsgegner kommen nebeneinander die BReg, der BR und der BT in Betracht.

2. Streitgegenstand

Streitgegenstand ist jede rechtserhebliche Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners. Hier: Erlaß des BPrG.

3. Antragsbefugnis, § 64 Abs. 1 BVerfGG

s.o.

Hier: Verletzung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG: Grundsatz der Chancengleichheit, durch das BPrG.

4. Form und Frist, §§ 23 Abs.1, 64 Abs. 3 BVerfGG

Ergebnis: Das Organstreitverfahren der D-Partei ist zulässig.